zurück zur Übersicht

Business Process Reengineering – menschzentriert!

Ein Business Process Reengineering gehen wir an, wenn ein Prozess radikal verändert werden soll oder muss. Häufig liegt das heute an zwei Drücken: Technologiedruck – wir müssen eine alte Technologie ablösen oder wollen den Automatisierungsgrad erhöhen. Oder Funktionsdruck – der alte Prozess skaliert nicht auf neue Aufgaben, kränkelt oder vergrault Mitarbeitende. Symptome für ein anstehendes BPR sind zum Beispiel: unverhältnismässige Überstunden der Prozessbeteiligten, Zunahme von Prozessfehlern, Kundenreklamationen und Nachbesserungsaufwänden.

Prozessänderungen sind schon beim Start des Vorhabens Transformationsvorhaben. («Change» auf Neudeutsch.) Es geht schliesslich nicht um punktuelle Kleinstjustierungen sondern um radikale Neuerungen. Das werden viele Menschen mittragen müssen, nicht nur Kundinnen und Kunden.

Mit der Feststellung, dass es nun einen neuen Prozess braucht oder dass der alte sich auf jeden Fall ändern muss, möchte man dann eigentlich direkt in den neuen Soll-Prozess springen. Die Gefahr bei so einer Vorgehensweise, in den neuen Geschäftsprozess alte Fehler wieder einzubauen, weil man sie nicht als Fehler erkannt hat, ist jedoch gross.

Wie üblich gilt: Ohne IST kein SOLL.

Es wird nun Betroffene geben, die das Ganze blöd finden, andere sind Feuer und Flamme von der bevorstehenden Veränderung. Die IT findet vielleicht, dass alle Systeme gut genug sind, der Prozess ist aber trotzdem krank. Vielleicht überlebt der Prozess nur durch viel individuelles Engagement (manifest durch Überstunden zum Beispiel)… Wie geht man das an?

Nicht vom Schreibtisch aus.

Die «traditionelle» Business Analyse wird deshalb mit Workshops und Stakeholderinterviews kombiniert.

Wer versucht, komplexe Prozesse ganz ohne solche (empirische) Aktivitäten zu verbessern, kommt meist ohnehin nicht zum Ziel. Aber finden wir hier wirklich zum Kern? Ich frage mich vor Workshops gern mal: geht es nicht besser? Ja geht es.

Durch die Kombination von Arbeitsplatzbeobachtungen und Rapid Prototyping geht’s zuverlässiger, schneller und präziser zu einer wünschbaren Zukunft.

Was ist eine wünschbare Zukunft?

Ein Prozess, der wirklich besser ist als der Alte. Und was «besser» ist, sollte klar sein. Ein paar Beispielwerte:

  • mehr Durchsatz (erledigte Aufgaben oder Produziertes je Zeiteinheit)
  • höhere Qualität, weniger Nachbesserungen
  • weniger Personalaufwand bei gleichem Durchsatz (manchmal wegen Kosten, manchmal wegen Fachkräftemangel)
  • höhere Geschwindigkeit
  • regelkonform (compliant)

Prozesse haben manuelle und technische Komponenten (sogenannte sozio-technische Anforderungen). Schwachstellen in den technischen und organisatorischen Strukturen wirklich gut zu kennen verhindert, einen neuen Prozess mit alten Schwächen zu konstruieren. (Den berühmten digitalen 💩-Prozess.)

Menschzentriertes Business Process Reengineering

Ergänzen wir die klassischen Aktivitäten mit der Logik und den Methoden des menschzentrierten Prozesses, gewinnen wir eine neue Qualität für den neuen Business-Prozess. Wir folgen üblicherweise dem 4er Rhythmus von Verstehen, Definieren, Entwerfen, Evaluieren. Für uns bedeutet das konkret im BPR insbesondere die Kombination der üblichen Vorgehensweisen der Business Analyse mit Arbeitsplatzbeobachtungen und Rapid Prototyping.

Was sind Arbeitsplatzbeobachtungen?

Mitarbeitende erledigen ihre Aufgabe(n) wie üblich. Eine Researcherin beobachtet seine Tätigkeiten und achtet auf Aktivitäten, Umgebungsvariablen (ergonomische Variablen wie z. B. Lärm und den Aufbau des Arbeitsplatzes), Hilfsmittel – offizielle und inoffizielle, und einiges mehr. Seine Beobachtungen kombiniert der Researcher mit gezielten Nachfragen, um den Ort des jeweiligen Befundes genau ausfindig zu machen: entstand ein Bedienproblem mit einer Software, wird eine Weisung angewandt oder ein sogenanntes Schatten-Excel geführt, weil man dem System nicht traut. Eine Gesamtauswertung von Arbeitsplatzbeobachtungen über die häufig vielen Prozessbeteiligten hinweg, ist die Bestandsaufnahme, also das IST.

Arbeitsplatzbeobachtungen sind zudem ein wesentliches Element der Untersuchung von Fluktuation und sind eine hervorragende Aktivität, um dem Fachkräftemangel durch umständliche, anstrengende Arbeitsbedingungen vorzubeugen. Auch in solchen Situation wird zu viel auf Gesagtes (Feedback) und zu wenig auf Beobachtbares gesetzt. Stimmen die Umgebungen für Feedback ggf. nicht (und das liegt nicht nur am Arbeitgeber), sind neutrale Beobachtungen sehr hilfreich. (Siehe Artikel bei Forbes: Harnessing The Power of Observation in the Workplace)

Was ist Rapid Prototyping?

Wir erben das Rapid Prototyping aus der Hardwarewelt, dem Industriedesign, der Produktentwicklung für physische Produkte. Hier war es lange Zeit sehr anspruchsvoll, schnell Repräsentationen zu bauen, die Teile der Produkteigenschaften testbar machen. Dann kamen 3D-Modellierung und Simulation sowie der 3D-Druck, die das Prototyping deutlich beschleunigten und den Produktentwicklungsprozess in den frühen Phasen verbesserten. Die Qualität der Spezifikation stieg schneller. Das machen wir im Busines Process Reengineering genauso, auch für die digitalen Produkte im Prozess oder Kommunikationsmittel wir Briefsendungen oder E-Mails.

Ein solches schnelles Modell hat folgende Eigenschaften:

  • es bildet den aktuellen Kenntnisstand zu einem Teil des Prozesses ab
  • es ist testbar durch die Anwendenden (im abgebildeten Use Case bzw. Use Flow)
  • es ist leicht wegwerfbar (nicht integriert)
  • es ist deutlich schneller erstellt als das fertige Produkt
  • es ist ein Arbeitet-So-Prototyp (kein Sieht-So-Aus-Prototyp)

Damit erleichtern solche Prototypen die Diskussion auf der funktionalen Ebene des Geschäftsprozesses. Da die Prototypen typischerweise in einem Tag oder weniger erstellbar sind, kann man auch mal ausbrechen und Versuchen nachgehen, die in Diskussionen kaum eine Chance bekommen. Der Entwurf wird über Iterationen immer feiner.

Was haben wir vom menschzentrierten Business Process Reengineering?

  1. Realitätsnahe Einblicke: Arbeitsplatzbeobachtungen ermöglichen es uns, die tatsächlichen Arbeitsabläufe und Herausforderungen der Mitarbeitenden zu verstehen. Im Gegensatz zu theoretischen Workshops und Interviews erleben wir direkt vor Ort, wie Prozesse ablaufen und wo die Probleme liegen. Diese praxisnahen Erkenntnisse sind oft detaillierter und authentischer. Ein einfaches Beispiel: während in Workshops oft behauptet wird, dass «niemand jemals mehr als 5 Minuten für die Dateneingabe braucht», zeigt die Beobachtung, dass tatsächlich oft 15 Minuten damit verbracht werden – hauptsächlich durch verzweifeltes Suchen nach der richtigen Datei! 📂😅
  2. Höhere Anzahl an Befunden: Gerade wieder erlebt: bei Arbeitsplatzbeobachtungen können wir etwa dreimal so viele Befunde sammeln wie in Workshops zur Bestandsaufnahme. Das liegt an Verzerrungen wie Erinnerungsfehlern oder sozialer Erwünschtheit, die in Workshops oft die Ergebnisse verfälschen. Bei Beobachtungen hingegen sehen wir die Realität ungefiltert. Umgehungslösungen tauchen auf, eigene Hilfsmittel, die eingesetzt werden, um Unzulänglichkeiten auszugleichen. Die Befolgung von Checklisten und die Umsetzungsarten von Weisungen und Arbeitsvorlagen.
  3. Schnelle Iterationen: Rapid Prototyping erlaubt es, schnell funktionale Modelle zu erstellen und diese direkt im Arbeitsumfeld zu testen. Anstatt monatelang in der Luft zu diskutieren, ein Missverständnis nach dem anderen zu produzieren, können wir durch schnelle Iterationen frühzeitig Feedback einholen und kontinuierlich verbessern. Dies beschleunigt den Konzeptions- und Entwicklungsprozess erheblich, weil Betroffene und Beteiligte vom Gleichen reden.
  4. Engere Zusammenarbeit: Durch die direkte Einbindung der Mitarbeitenden in den Prototyping-Prozess fördern wir eine kollaborative Atmosphäre. Mitarbeitende fühlen sich gehört und eingebunden, was die Akzeptanz und das Engagement für die neuen Prozesse erhöht. Reibung fliesst in die Verbesserung des Prozesses. Transformationsunterstützung (Change Management) hat bessere Ausgangspunkte, weil die Betroffenen fortlaufend spürbar sind.
  5. Flexibilität und Anpassungsfähigkeit: Während konventionelle Methoden oft starr und zeitaufwendig sind (bekommt mal 8 Personen in einen Workshop über 3h), bietet die Kombination von Beobachtungen (die Arbeit findet auch ohne uns statt, wir blockieren niemanden) und Prototyping eine flexible Herangehensweise. Wir können schnell auf neue Erkenntnisse reagieren und Anpassungen vornehmen.

Warum ist ein wirklich besserer Prozess aus sich selbst heraus oft nicht erreichbar?

Betriebsblindheit. Wenn wir über eine gewisse Zeit, auch entlang alter Weisungen, Prozesse durchgeführt haben, stehen interne Schnittstellen, das Netzwerk um den Prozess ist etabliert, man hat es «gut mit einander». Nicht rationales Verhalten im Prozess wird z. B. nicht hinterfragt, weil es individuell sehr kundenfreundlich aussieht: eine Person gibt zum Beispiel ihre Direktwahl an Kunden und löst damit Anliegen völlig unabhängig von ihren AKVs (Aufgaben, Kompetenzen, Verantwortlichkeiten). Damit wird an ihrer eigenen Aufgabe ein Stau erzeugt. Der eine Kunde hat profitiert, alle anderen erleben aber eine Verzögerung.

Was passiert mit den Workshops?

Einige fallen weg und andere werden anders genutzt. Insbesondere beim Erarbeiten des neuen Soll-Prozesses helfen die schnellen Prototypen und Ablaufszenarien (Beschriebe der Aktivitäten als Geschichte oder Journey), dass die Teilnehmenden die dargestellte Zukunft besser falsifizieren können, je früher desto besser. Solche Falsifizierungsworkshops geben allen das direkte Gefühl, wirklich vorwärts zu kommen. Das macht auch die Teilnehmenden mutiger. (Das macht übrigens auch mehr Spass als vor versammelter Mannschaft die Hosen runter lassen zu müssen, wie man bisher gearbeitet hat.)

Menschzentriertes Business Process Reengineering mit evux?

Wir schauen zuerst an, wie dein Unternehmen normalerweise vorgeht und werden das notwendige Vorgehen für den menschzentrierten Entwicklungsprozess passend gestalten. Wir werden weder vorauseilen noch bremsen. Der Weg wird erkenntnisreich und ein bisschen anstrengend sein. Aber du bist nicht allein. Wir schaffen das! Also meld dich bei uns.

Haben Sie Fragen zum Artikel?